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Rausch der Fahrt

Neulich hatte ich ein Erlebnis der besonderen Art. Genauer: der sonderbaren Art. Ich bin auf Rollski im Furttal unterwegs, sogar sehr gut unterwegs, um nicht zu sagen: so gut, dass ich denke, das kann nicht an mir liegen, das muss Rückenwind sein. Es läuft wie von alleine, wie geschmiert, Kadenz perfekt, Lächeln im Gesicht, die Nase im Wind – was bei Rückenwind nicht ganz einfach ist, aber heute schaffe ich alles.


Slow down, take it easy

Und dann das! In meiner Nase macht sich der süssliche Duft von Cannabis breit. Man muss wissen, dass ich kein Cannabis konsumiere, trotzdem aber den Geruch mag. Will heissen, es stört mich nicht. Aber es lenkt mich ab.

Ich werde langsamer, deutlich langsamer. Hallelujah, was ist los? Bin ich ohne Rausch berauscht? Oder liegt es daran, dass ich den Duft nicht so schnell wieder aufgeben will?

Ich nehme an, dass das Gras nicht genügend THC ausweist, um mich solcherart in einen Trip zu versetzen. Dass es ziemlich sicher CBD-Gras ist. Also macht die Temporeduktion keinen Sinn. Aber wieso werde ich langsamer? Vielleicht das näher rückende und bislang erfolgreich unterdrückte Gefühl des Verlusts der immer weiter zurückliegenden Jugend? Habe ich was verpasst? Muss ich was nachholen? In meinem biblischen Alter?


Dope an Olympia

Mir fällt Ross Rebagliati ein. Olympiagold vor über zwanzig Jahren. Musste er nach drei Tagen abgeben. Zur Erinnerung. Der Kanadier Ross Rebagliati war der erste Snowboard-Olympiasieger der Geschichte. Er gewann in Nagano 1998 Gold im Riesenslalom. Dann aber der Schock: bei einer Dopingprobe wurden Spuren von Cannabis gefunden, der Sieg wurde ihm aberkannt. Die japanische Polizei ging noch einen Schritt weiter: sie verhaftete Rebagliati kurzerhand, weil er Drogen ins Land geschmuggelt haben soll. Die kanadische Delegation legte umgehend Rekurs beim Sportgericht ein. Etwas später konnten die Vorwürfe als haltlos entkräftet werden, er wurde freigelassen, die Goldmedaille bekam er zurück.

Interessant war die Diskussion darüber, ob Cannabis überhaupt in der Lage sei, eine Leistungssteigerung herbeizuführen. Ob das eher dämpfende, entspannende Cannabis dazu verhelfen kann , in einem Final an die Spitze zu fahren. Vielleicht war es die Entspannung, die dazu geführt hatte, dass Rebagliati, der im ersten Lauf auf Rang 8 gelegen hatte, im zweiten Lauf so was von aufdrehte. Immerhin: Ross Rebagliati konnte erfolgreich beweisen, dass er nicht geraucht hatte, sondern (vor der Abreise nach Japan) an einer Party war, wo Cannabis konsumiert wurde. In Snowboarderkreisen damals nicht unüblich.


Rollski und Goa

Was mich wieder ins Furttal zurückführt. Oder nach Watt-Regensdorf. Oder nach Rümlang. Oder nach was weiss ich wo. Es duftet überall – CBD-Gras wird mittlerweile landesweit produziert, es riecht mancherorts wie an einer Goa-Party. Fehlt nur noch die landesweite Beschallung mit der entsprechenden Musik. Das wär’ was: Rollskitraining mit Goa an der Seitenlinie: Reset your mind. Oder: Stairway to heaven (ich hasse das Lied, Zep hat rund 50 bessere Stücke, aber der Titel passt). Oder: Free your mind and your ass will follow von George Clinton. Alle komplett zugedröhnt. Ich schwör’s, ich habe George Clinton aka Dr. Funkenstein gesehen, sechs Stunden Konzert, er wie der Papst persönlich auf der Bühne, sich kaum bewegend, entrückter Blick, ewiges Smile, seine Band aber im Griff, ab und zu ein paar sanfte Worte sprechend, bevor er in einer Art Raumkapsel verschwand, aber irgendwann dann auch wieder auftauchte, aus dem Nichts, immer noch benebelt. Oder Bob Marley 1980 in Zürich. 11'000 bekiffte Fans, alle ausser mir – aber eigentlich auch ich, weil passiv dabei.

Ungefähr so fühle ich mich jetzt gerade, im Furttal: entrückt, zugedröhnt, verlangsamt. Und darüber nachdenkend, wie ich diesen Zustand in Worte fassen könnte. Ob ich nicht lieber echtes THC konsumieren sollte? Quasi wie all die Musiker in den siebziger Jahren, die astralisch von ihrem irdischen Dasein entfremdet zur irrsten Musik fanden. Ich also zur irrsten Form des Rollskilaufs?

Irgendwann, so bedauerlich das auszusprechen ist, ist’s vorbei mit ausserirdischem Gefühlsdasein, die Erde hat mich zurück, der Duft ist verduftet. Und ich rolle wieder normal. Immerhin, nein: immer noch mit Rückenwind.

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